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Es ist schon erstaunlich, da arbeite ich seit 15 Jahren als Medizinerin und von der Aminosäure Homocystein habe ich in meiner täglichen Praxis noch nicht wirklich gehört. Was steckt hinter dieser schwefelhaltigen Aminosäure, die ein super Indikator für eine Vielzahl von Erkrankungen und Alterungsprozesse darstellt? Wie können wir damit Diagnostik betreiben? Begleitet uns, auch wenn es nun etwas chemisch wird!
Homocystein ist ein Zwischen-Abbauprodukt, das durch weitere enzymatische Schritte in unserem Körper in Methionin zurückverwandelt werden muss. Wenn wir zu viel Homocystein im Blut nachweisen, können wir Rückschlüsse ziehen, dass zwei weitere Stoffe, die daraus entstehen, nämlich das S-Adenosyl-Methionin (SAM) und das Glutathion, in zu geringer Anzahl vorkommen. SAM wirkt gegen Depressionen und Arthritis. Glutathion entgiftet super und ist eines der wichtigsten Antioxidanzien – es hilft uns sozusagen, lange jung zu bleiben. Entsprechend wäre es natürlich schön, ausreichend viel von den beiden Substanzen zu haben.
Homocystein zeigt uns zweierlei:
- Einerseits, dass wir ggf. dazu neigen, bestimmte Erkrankungen zu entwickeln
- Zweitens, dass wir sehr wahrscheinlich zu wenig SAM und Glutathion im Körper haben, die uns schützen und uns lange jung bleiben lassen (innerlich wie äußerlich)
Wie wirkt Homocystein in größerer Menge?
Homocystein wirkt toxisch auf die Gefäße. Ja, leider auf alle Gefäße – die kleinen wie die großen. Es kommt bei hohen Homocysteinwerten gehäuft zu Schlaganfällen und Herzinfarkten, aber auch zu degenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Demenz, Depressionen, chronisches Müdigkeitssyndrom und einer beschleunigten Alterung im allgemeinen.
Wie kann es zu einem zu hohen Homocystein-Wert kommen?
Ein Drittel aller Menschen mit einem zu hohen Wert sind genetisch dazu veranlagt. Sie erleiden meist schon sehr früh im Leben eine Verkalkung der Gefäße mit Schlaganfällen und Herzinfarkten. Beim Rest (und das ist der große Anteil) werden diese hohen Werte an Homocystein durch eine Mangelversorgung verursacht (darauf gehen wir gleich ein). Auch das Alter spielt eine Rolle: Bei einer Mangelversorgung und einem Alter über 40 Jahren steigt der Spiegel an Homocystein steil an.
Wie schädlich ein zu hoher Homocystein-Spiegel sein kann, lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Ein Raucher, der eine Packung Zigaretten täglich konsumiert, hat ein 4-fach erhöhtes Herzinfarktrisiko. Ein Mensch, der einen erhöhten Homocysteinwert von über 15 aufweist, hat ebenfalls ein 4-fach erhöhtes Herzinfarktrisiko.
Was können wir tun, um Homocystein abzubauen?
Wir haben bereits erfahren, dass ein erhöhter Homocystein-Wert schädigend auf die Gefäße und somit auf die Organe wirkt. Wir haben aber auch zur Kenntnis genommen, dass dadurch die heilenden und schützenden Funktionen von SAM und Glutathion abnehmen – doppelt schlecht also. Um die Abbauvorgänge von Homocystein zu unterstützen, können wir unserem Körper wichtige Co-Substanzen zuführen. Wir nennen diese Coenzyme, da sie die enzymatischen Vorgänge begleiten.
B12, B6 und Folsäure – die 3 Grazien!
Vitamin B12 (Cobolamin), Vitamin B6 (Pyridoxin) und Folsäure (früher Vitamin B9) sind wasserlöslich, falls man also zu viel zu sich nimmt, werden sie mit dem Urin ausgeschieden. Wir werden uns die drei Ladies etwas genauer ansehen:
Vitamin B12
Aufgrund seiner Kobaltverbindung wird dieses Hormon auch Cobolamin genannt. Ein Mangel kann sich in einer Blutarmut (Anämie) und in neurologischen Störungen zeigen. Die Aufnahme von Vitamin B12 ist nicht ganz so einfach für unseren Körper, da er dazu einen weiteren Co-Faktor benötigt, der im Magen gebildet wird. Dieser sogenannte intrinsische Faktor fehlt, wenn z. B. der Magen oder Teile des Magens entfernt wurden. Er fehlt aber auch, wenn eine Besiedelung mit Bakterien und Keimen besteht, die dort eigentlich nicht hingehören (z.B. Helicobacter pylori). Auch gibt es zahlreiche Medikamente, welche die Aufnahme von Vitamin B12 stören – die Pille gehört auch dazu. Vegetarier und Veganer sollten regelmäßig ihren Spiegel an Vitamin B12 kontrollieren lassen, das sie meist eine verminderte Aufnahme aufweisen. Die größte natürliche Quelle für dieses Vitamin stellen nämlich tierische Produkte dar. Tierische Innereien, wie Leber und Niere, strotzen nur so vor Vitamin B12! Aber auch Milchprodukte wie Kefir, Joghurt, Eier und Fisch weisen einen hohen Gehalt auf. Menschen mit chronischen Erkrankungen, die auf Eier und Milchprodukte verzichten sollten, empfehlen wir auf jeden Fall die Substitution von B12. Eine kleine Menge an diesem Vitamin nehmen wir allerdings auch über den hinteren Teil des Dünndarms auf, dafür müssen aber die dort ansässigen Bakterien gut funktionieren. Diese Flora kann jedoch gestört sein, wenn wir zu viel Antibiotika nehmen.
In einer aktuellen Studie hatten Veganer einen um mehr als 50% höheren Wert (15,8 Homocystein), Vegetarier einen 30% höheren Wert (13,2 Homocystein) als die Gruppe, die auch tierisches Eiweiß verzehrte. Die Serumwerte von Vitamin B12 lagen durchschnittlich bei der Vergleichsgruppe bei 344.7 pmol/l, bei den Vegetariern bei 214.8 pmol/l und bei den Veganern bei 140.1 pmol/l.
78% der Veganer und 26% der Vegetarier gelten als Vitamin B12-mangelernährt.
Vitamin B6
Ein Mangel an Vitamin B6 gilt schon seit langer Zeit als Risikofaktor für die Entwicklung für Gefäßerkrankungen wie z. B. die Arteriosklerose. Neuere Untersuchungen zeigen auch, dass ein Mangel mit einer erhöhten Gefahr von venösen Thrombosen verbunden ist. Interessant ist auch: je mehr Eiweiß man zu sich nimmt, umso höher ist der Vitamin B6-Verbrauch im Körper. Ein Mangel zeigt sich oft an der Haut, an Wachstumsstörungen, an einer erhöhten Reizbarkeit, Schlafstörungen und Angstzuständen. In unseren Muskeln wird Vitamin B6 gespeichert. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch der Speicherplatz für dieses Vitamin abnimmt, wenn im Alter die Muskelmasse abnimmt. Dann kann eine Substitution sinnvoll sein. Auch Schwangeren oder stillenden Frauen würden wir nach Rücksprache mit Ihrem Arzt eine Substitution empfehlen.
Folsäure
Folium heißt auf Lateinisch das Blatt. Da Folsäure zuerst aus Blattspinat extrahiert wurde, erhielt sie so ihren Namen. Folsäure ist unentbehrlich für die Replikation unserer Zellen, denn sie wird für die Verdoppelung der DNA benötigt. Bevor sich eine Zelle teilen kann, wird die enthaltene DNA verdoppelt. Dann setzt sich die Abschnürung und Teilung der Zelle fort. So entsteht „Zellennachwuchs“.
Folsäure und Vitamin B12 sind sehr eng miteinander verbunden und agieren synergetisch. Das zeigt sich vor allem im Bereich der Bildung von neuen Blutplättchen, roten und weißen Blutkörperchen. Auch bei der Herstellung von Melatonin sind beide Vitamine im Doppelpack wichtig. Die Substitution von Folsäure und die laborchemische Kontrolle des Folsäurespiegels während der Schwangerschaft (vor allem während des ersten Trimenons) ist mittlerweile allseits bekannt. Ansonsten kann es leider zu schweren Fehlbildungen des Kindes kommen.
Folsäure wird vor allem in der Leber gespeichert. Teilweise wird es über die Galle ausgeschieden und dann im Darm wieder aufgenommen, es sei denn, dass chronisch entzündliche Darmerkrankungen diese Wiederaufnahme hemmen. Gute Lieferanten von Folsäure sind grünes Blattgemüse, Brokkoli, Weizenkeime, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und, wie bereits beim Vitamin B12 angesprochen, die Innereien. Da die Folsäure allerdings meist in gebundener Form in der Nahrung vorliegt und diese nicht einfach von Körper aufzunehmen ist, wird nicht mehr als 40% der Gesamtmenge aufgenommen. Zudem ist es leicht „flüchtig“, das heißt, wenn wir Salat oder Gemüse zu lange wässern, dann wird die Folsäure ins Wasser abgegeben und steht unserem Körper nicht mehr zur Verfügung. Und wer hätte gedacht, dass Folsäuremangel der häufigste Mangel an Vitaminen in Europa und Nordamerika darstellt? Die Symptome einer Unterversorgung sind unspezifisch und können sich mit einer vermehrten Reizbarkeit, Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen äußern. Auch die Einnahme von Medikamenten wie ASS (Aspirin) und der Pille oder Medikamenten, die die Leber belasten, wirken sich ungünstig auf den Folsäurespiegel aus. Wichtig bei der Bestimmung der Laborwerte von Vitamin B12 und Folsäure: ein erhöhter Folsäurespiegel kann den Vitamin B12-Mangel kaschieren.
Wie stelle ich einen zu hohen Homocysteinwert fest?
Homocystein wird im Blut nachgewiesen. Es ist ein einfacher Test, der ca. 15 € kostet. In der selben Blutuntersuchung würden wir gleich die B-Vitamine mit abnehmen lassen. Allerdings muss auch dazu immer gesagt werden, dass Werte, die man im Blut nachweist, nicht unbedingt gleichbedeutend für den Gehalt der Vitamine am eigentlichen Wirkungsort, also in der Zelle, sein muss. Ich denke aber, es liefert zumindest einen Richtwert. Und neue Mess-Methoden lassen nicht mehr lange auf sich warten.
Noch ein paar Anmerkungen zur Laboruntersuchung
Gesetzlich Versicherte zahlen den Test meist aus der eigenen Tasche. Außerdem wird eine Nüchternblutentnahme empfohlen, man sollte nach Mitternacht keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Zudem gibt es Wechselwirkungen mit anderen eingenommenen Medikamenten, diese sollten unbedingt mit angegeben werden, da sie den Homocysteinwert verfälschen können. Wir empfehlen bei erhöhten Werten eine Kontrolluntersuchung nach 6-8 Wochen, wobei nach Rücksprache mit einem Arzt gleich mit einer Substitution der Vitamine B12, B6 und Folsäure begonnen werden sollte. Oftmals zeigt sich dann schon ein verbesserter Wert.
Und was hat das nun mit dem Altern zu tun?
Manche haben vielleicht schon mal von Telomeren gehört. Dies sind die Enden unserer Chromosomen, welche keine Erbinformation tragen. Wenn die DNA vervielfacht wird, bei der Zellteilung also, geht meist etwas Länge der Chromosomen verloren. Deshalb gibt es, einfach gesagt, diese „Puffer“ am Ende, so dass die Erbinformation nicht verloren geht. Sind die Telomere jedoch aufgebraucht, dann kann die Zelle sich nicht mehr teilen. Wenn nun also Zellverbände, wie z.B. solche in unseren Gefäßen, mit größeren Mengen an Homocystein überladen werden, dann kann das Enzym, welches die Telomere wieder aufbauen kann, nicht gut arbeiten und die Zellen altern schneller. All das ist eine Frage der Methylierung! Und schon sind wir tief in der Biochemie und in den Tiefen der Antioxidantien, die unsere Zellen vor Alterungsprozessen schützen.
Fazit
- Homocystein ist ein Stoffwechselprodukt, das Rückschlüsse auf die Versorgung unseres Körpers mit B-Vitaminen ziehen lässt, auf Alterungsprozesse und auf Gefährdungen vor allem unserer Gefäße.
- Homocystein lässt sich im Blut bestimmen.
- Ein hoher Homocystein-Wert lässt sich durch die Substitution von Vitamin B12, B6 und Folsäure gut behandeln.
Quellen
- Uwe Karstädt „Entgiften statt vergiften“ S. 235 ff.
- Zaric et al, Homocysteine and Hyperhomocysteinaemia, März 2018, Curr Med Chem.
- Woods et al, Cerebral venous thrombosis as the first presentation of classical homocystinuria in an adult patient, Jan 2017, BMJ Case Report
- Zeuschner et al, Vitamin B12 and vegetarian diets, August 2013, Medical Journal